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Wie die Gestaltung öffentlicher Räume gegen bestimmte Nutzergruppen eingesetzt werden kann

„Defensive Architektur“ klingt zunächst nach Stadtmauern und Befestigungsanlagen und seine Ursprünge hat der Begriff in der „Wehrarchitektur“ vergangener Epochen. Heute sind mit diesem und verwandten Begriffen jedoch gestalterische Maßnahmen gemeint, die den öffentlichen Raum für unerwünschte Aktivitäten schließen sollen – ein kontroverses Vorgehen, das dennoch Verbreitung findet.

Defensive Architektur: Brauchen Städte „wehrhafte Räume“?


Deserted sunny trainstation, empty seats, in Rahlstedt

Woher kommt der Begriff „defensive Architektur“?

Begriffsbestimmung für eine Form der Gestaltung öffentlicher Räume

Das Konzept der „defensiven Architektur“, wie es heute im Bereich von Stadtplanung und -design verwendet wird, hat seine Ursprünge im New York der 1970er und 1980er Jahre. Erste Ideen kamen aber bereits 1960 auf. Hier entstand der Begriff des „environmental design“, das im Kontext der Kriminalprävention eingesetzt werden sollte. Zu Beginn der 1970er Jahre prägte der Stadtplaner Oscar Newman außerdem die Bezeichnung „defensible space“, also „zu verteidigender Raum“.
Historisch betrachtet geht der Begriff auf alte Befestigungsanlagen zurück. Ihr Zweck wurde allerdings verändert: Die damit umschriebenen baulichen Maßnahmen dienen nicht mehr feindlichen Angriffen von außen, sondern sollen öffentliche Räume im Innern gegen unerwünschte Nutzer, Tiere und Aktivitäten schützen.


„Defensive Architektur“ bei der Wahl zum „Unwort des Jahres 2022“

Bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2022 landete „defensive Architektur“ auf Platz 3. Die Jury begründete dies folgendermaßen:

„Bei diesem Ausdruck handelt es sich um eine Übertragung aus dem Englischen (defensive/hostile urban architecture). Im Deutschen ist der Ausdruck auch unter der Alternativbezeichnung Anti-Obdachlosen-Architektur bekannt. Bei dem Wort defensive Architektur handelt es sich um eine militaristische Metapher, die verwendet wird, um eine Bauweise zu bezeichnen, die sich gegen bestimmte – wehrlose – Personengruppen (zumeist Menschen ohne festen Wohnsitz) im öffentlichen Raum richtet und deren Verweilen an einem Ort als unerwünscht betrachtet. Die Jury kritisiert die irreführende euphemistische Bezeichnung einer menschenverachtenden Bauweise, die gezielt marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Raum verbannen möchte.“

Ideen aus der Kriminalitätsprävention

Ähnlich wie die Maßnahmen, die als Elemente „defensiver Architektur“ eingesetzt werden, zeigen auch die verschiedenen synonym verwendeten Begrifflichkeiten den abschreckenden Charakter dieser Bauweise. Geläufige Bezeichnungen im englischsprachigen Raum sind unter anderem

  • hostile architecture,
  • hostile design,
  • deterrent design,
  • defensive urban design,
  • unpleasant design,
  • exclusionary design.

Im Deutschen sind vor allem „feindliches Design“ und „Anti-Obdachlosen-Architektur“ verbreitete Alternativen, die jedoch als Kritik zu verstehen sind. Die ursprüngliche, aus dem Englischen übernommene Bezeichnung „defensive Architektur“ wird im Deutschen erst seit den 2010er Jahren verwendet. Erste Ansätze in diesem Kontext wurden jedoch schon wesentlich früher in Deutschland umgesetzt, in Stuttgart beispielsweise bereits seit den 1990er Jahren.


Concrete blocks in the city to protect people from terrorist attacks, in the background people

Was will „defensive Architektur“ erreichen?

Sauberkeit und Sicherheit: Zielsetzung von feindlichem Stadtdesign

Die grundlegenden Zielsetzungen hinter dem Konzept der „defensiven Architektur“ wurden einleitend bereits beschrieben. Entwickelt wurde es im Rahmen von Diskussionen über Kriminalitätsprävention, Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum.

Dabei spielen verschiedene Zusammenhänge und Hintergründe eine Rolle, etwa

  • terroristische Anschläge wie der auf den Berliner Breitscheidplatz,
  • Kriminalität in Form von Gewalttaten und/oder Drogendelikten,
  • Armut und soziale Not, vor allem Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit,
  • die Störung der sozialen Ordnung durch sogenanntes unangepasstes Verhalten, wie es etwa Sub- und Jugendkulturen zeigen.

Diesen Diskussionen liegt die Vorstellung zugrunde, dass öffentliche Räume gegen Bedrohungen wehrhaft gemacht werden müssten.


Poor homeless man or refugee sleeping on the wooden bench on the urban street in the city, social documentary concept, selective focus

Bedrohte öffentliche Plätze wehrhaft machen

Im (politischen) Diskurs werden diese Bedrohungen unter zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet. Dr. Eric Tenz vom Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. (vhw) hat diese zusammengefasst:

  • Soziale Verwahrlosung bedeutet, dass – wie oben angedeutet – „Randgruppen“ wie Obdachlose oder jugendliche Subkulturen öffentlich zu präsent seien und durch teilweise kriminelles Verhalten auffielen.
  • Bauliche Verwahrlosung knüpft unter anderem an Ideen wie der „broken windows“-Theorie an. Gemeint ist damit der Verfall von öffentlichen Räumen, die nicht ausreichend instandgehalten und gepflegt werden.

In beiden Fällen ist das Ergebnis, dass Sicherheit und Ordnung abnehmen, die Bürger sich in solchen Räumen unsicher fühlen und sie meiden – und am Ende ein Verlust der sozialen Kontrolle. Um wieder mehr Kontrolle herzustellen und um Kriminalität vorzubeugen, greifen viele Kommunen zu den städtebaulichen Maßnahmen, die defensive Architektur bietet.


Hostile architecture defensive bench with metal armrests designed to stop people laying down sitting in street france Antibes city french

„Defensive Architektur“ im städtebaulichen Alltag

Wie die Kommunen öffentliche Räume „wehrhafter“ gestalten

Die Maßnahmen für eine „defensive Architektur“ in Städten stammten aus dem Bereich Stadtmobiliar. In den Stationen der New Yorker U-Bahnen wurden ab den 1970er Jahren die alten Sitzbänke durch solche ersetzt, die zwischen jedem Sitz über eine Armlehne verfügten. Diese Konstruktionsweise macht es für Obdachlose unmöglich, die Bänke als Schlafplätze zu nutzen.

Noch heute gehören solche Bänke in öffentlichen Räumen zu den gängigen Mitteln, um Obdachlose fernzuhalten. Oftmals werben Hersteller sogar explizit mit der Verwendungsmöglichkeit als sogenannte „Anti-Obdachlosen-Bank“ mit abschreckender oder präventiver Wirkung.

Im Sinne einer „städtebaulichen Kriminalprävention“ gibt es jedoch sehr viel weitreichendere Möglichkeiten für die Gestaltung öffentlicher Räume. Sie werden beispielsweise von den Polizeibehörden beschrieben.


Sitze, einzeln

Städtebauliche Gestaltung für die Kriminalprävention

Um öffentliche Räume sicherer zu gestalten, werden verschiedene Grundsätze empfohlen, nach denen sich die konkreten Maßnahmen richten können:

Orientierung bieten
Hierbei geht es beispielsweise um eine klare Abgrenzung von öffentlichen und privaten Räumen, eine übersichtliche Gestaltung von Gebäuden und Freiflächen und eine geradlinige Wegführung.

Sichtbarkeit erhöhen
Gemeint ist die bessere Einsehbarkeit von öffentlichen Wegen und Räumen, etwa durch das Abbauen von Sichtbarrieren. Mögliche Maßnahmen umfassen die ausschließlich oberirdische Wegführung, das Vermeiden von verwinkelten Ecken und Mauervorsprüngen oder die ausreichende Beleuchtung von Unterführungen. Ähnlich wie beim Punkt „Orientierung bieten“ zielen die Maßnahmen darauf ab, mehr Kontrolle und ein größeres Sicherheitsgefühl durch mehr Übersichtlichkeit zu erreichen.


naumburg, deutschland marktplatz in der altstadt

Mobilitätsbarrieren verringern
Die Empfehlung von weniger Mobilitätsbarrieren ist in erster Linie unter Sicherheitsbedenken zu verstehen. Es geht also nicht primär darum, öffentliche Räume barrierefrei zu machen. Im Vordergrund stehen vielmehr Aspekte wie bessere Fluchtwege, indem Niveauunterschiede oder Zäune und Hecken entlang von Wegen vermieden werden.

Instandhaltung und Pflege
Bei der Vorstellung von sicheren offenen Räumen schwingt immer auch die Vorstellung von Ordnung mit. Die städtebauliche Kriminalprävention empfiehlt zu diesem Zweck unter anderem verschließbare Müllcontainer und Fahrradboxen oder eine Antigraffitibeschichtung für Wände im öffentlichen Raum.

Fehlende oder eine nicht genügende Anzahl an Abfalleimern können ein Grund sein, warum öffentliche Räume vermüllt werden. Einfache Maßnahmen können also bereits einen großen Unterschied machen.


hostile design steel round front facade shop architecture defensive store prevents the homeless sitting

Wie „defensive Architektur“ im öffentlichen Raum tatsächlich aussieht

Oft fällt „defensive Architektur“ im öffentlichen Raum wenig auf. Das zeigt sich am Beispiel der unterteilten Sitzbänke. Für alle, die mit dem Konzept nicht vertraut sind, könnten sie als Mittel der Komfortsteigerung empfunden werden – immerhin hat so jede Person eine eigene Armlehne und potenziell eine zusätzliche Hilfe beim Aufstehen.

Die Maßnahmen beschränken sich aber keineswegs auf die Gestaltung des Stadtmobiliars. Weitere Beispiele sind Fensterbänke, die mit kleinen spitzen Zäunen versehen werden, um ein Hinsetzen zu verhindern. Stacheln, Dornen und Spitzen aus Beton oder Metall auf größeren Flächen, die unter Umständen als Liegeplätze genutzt werden können (etwa Stufen und Treppen), erfüllen einen ähnlichen Zweck.

Das Anbringen von Zäunen oder Metallgittern macht bestimmte Bereiche unzugänglich. Erhebungen oder Zacken auf Treppengeländern machen es Skatern unmöglich, diese für ihre Tricks zu nutzen. Es gibt also auch genügend Beispiele aus der Praxis, bei denen der abschreckende Charakter von „defensiver Architektur“ auf den ersten Blick deutlich wird.


Example of anti-skateboarding architecture in London. Decorative Anti-Skateboarding Guards.

Kritik: Soziale statt „defensive“ Architektur

Sorgt „defensive Architektur“ wirklich für bessere öffentliche Räume?

Die Rezeption von „defensiver Architektur“ ist vielfach mit Kritik verbunden. Denn ihr Einsatz führt nicht zuletzt zu der Frage, für wen der öffentliche Raum eigentlich verfügbar und nutzbar sein soll. Mit abwehrenden und mutmaßlich präventiven Maßnahmen treffen die Kommunen Entscheidungen und machen solche Räume für bestimmte Menschengruppen unzugänglich.

Aber entspricht das wirklich dem Zweck des öffentlichen Raums als Begegnungs- und Aufenthaltsraum, als Plattform für das soziale Leben? Die Kritik verweist auf den Widerspruch, der sich aus dem exkludierenden Charakter der „defensiven Architektur“ ergibt und dem vielfältigen Nutzungsanspruch öffentlicher Räume. Zumal Probleme wie Wohnungslosigkeit und Kriminalität damit kaum verringert, sondern allenfalls in andere Bereiche verlagert werden.


Aachen

Aufenthaltsqualität sinkt – und zwar für alle

Durch viele Maßnahmen, die eigentlich der Kriminalprävention oder der „Wehrhaftigkeit“ von öffentlichen Räumen dienen, ergibt sich jedoch häufig eine neue Problematik: Wo beispielsweise Sitzflächen darauf ausgelegt sind, eine längere Verweildauer zu verhindern, betrifft das nicht nur die Personengruppen, die ausgeschlossen werden sollen. Der Komfort und damit die Aufenthaltsqualität sinkt oft für alle Menschen, die diese Sitzflächen nutzen möchten.

Wo Stadtmobiliar eine verbindende Wirkung haben kann, weil sie öffentliche Räume für bestimmte Gruppen besser zugänglich und nutzbar macht – wie etwa eigens für Senioren konzipierte Sitzbänke –, erreicht es in seinen abschreckenden Ausführungen das Gegenteil: Orte, die dazu einladen sollten, dass sich Menschen dort treffen, begegnen und austauschen können, werden zunehmend unattraktiver. Es stellt sich deshalb die Frage, ob „defensive Architektur“ wirklich ein geeignetes Mittel ist, um den öffentlichen Raum für die Menschen und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse zu gestalten.

Quellen:
ZDF: Defensive Architektur. Wie Obdachlose in Städten ferngehalten werden
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/obdachlose-architektur-defensiv-metallspitzen-100.html

Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres: Wahl des 32. „Unwort des Jahres“ (Pressemitteilung)
https://www.unwortdesjahres.net/wp-content/uploads/2023/01/Pressemitteilung_Unwort_2022_Januar_2023_Version_final.pdf

SWR: Defensive Architektur: Wie ein Baustil Obdachlose aus der Stadt verdrängt
https://www.swr.de/swrkultur/kunst-und-ausstellung/defensive-architektur-wie-ein-baustil-obdachlose-aus-der-stadt-draengt-100.html

SWR: „Defensive Architektur“: Wie die Stadt Menschen ausgrenzt
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/defensive-architektur-im-oeffentlichen-raum-100.html

cradle-mag.de: Defensive Architektur im öffentlichen Raum
https://cradle-mag.de/artikel/defensive-architektur-im-oeffentlichen-raum.html

fluter.de: Platzverbot
https://www.fluter.de/platzverbot

Tenz, Eric: Wehrhafte Räume oder defensive Architektur? Politische Erzählungen über Ordnungs- und Sicherheitsarchitekturen in öffentlichen Räumen im Kontext von Wohnungslosigkeit
https://www.vhw.de/fileadmin/user_upload/08_publikationen/werkSTADT/PDF/vhw_werkSTADT_Defensive_Architektur_Nr._49_2020_.pdf

RND: Defensive Architektur: Warum der öffentliche Raum ungemütlich wird
https://www.rnd.de/politik/defensive-architektur-warum-der-offentliche-raum-ungemutlich-wird-6TJJXKTTXELCLEIRPXSDMBYT6Y.html

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